Ich habe kein schlechtes Gewissen

Wenn man der Atomenergie kritisch gegenübersteht, womit man sich derzeit logischerweise in sehr zahlreicher Gesellschaft befindet, muss man sich momentan so einiges an den Kopf werfen lassen. Und damit meine ich nicht den ganz normalen Schwachsinn, dass alternative Energiequellen zu teuer seien. Auch nicht, dass man erst und nur jetzt den Mund zu dem Thema aufmacht – den Schuh müsste ich mir auch gar nicht anziehen lassen. Nein, der ansteigende Tenor lautet, dass man seine politischen Interessen auf dem Rücken der armen gebeutelten Japaner durchsetzen möchte. Siehe zum Beispiel hier oder hier oder hier oder hier.

Ich will ja gar nicht behaupten, dass jegliche Aussage gegen Atomkraft automatisch richtig und sinnvoll sei. Es ist selbstverständlich völliger Blödsinn, von heute auf morgen sämtliche Atomkraftwerke der Welt abzuschalten. Natürlich sind ausverkaufte Geigerzähler und Jodtabletten in Deutschland nur ein Barometer für die Volksverblödung. Auch sind bei den regenerativen Energiequellen noch bei Weitem nicht alle Probleme aus der Welt geschafft, da muss noch sehr viel mehr geforscht werden, bevor das so richtig überzeugen kann. Wenn sich die Lage in Japan (hoffentlich!) irgendwann beruhigt hat, kann man wieder zu etwas weniger hitzigen und eher sinnvollen Diskussionen übergehen. Aber ich hoffe doch sehr, dass diese nicht wieder völlig einschlafen und sich wieder zum belächelten Randthema für Castor-Aktionisten oder Blumenkinder-Lichterketten verkümmert.

Aber der Vorwurf, man hätte kein Mitgefühl mit den vielen tausend Toten und den vielen hunderttausend Obdachlosen, die alleine dem Erdbeben und dem Tsunami anzulasten sind, finde ich abartig! Dieses Leid ist natürlich unfassbar, aber es wird auch nicht mehr, wenn man die gleichzeitig offensichtlicher gewordenen Gefahren der Atomkraft anspricht – insbesondere in Verbindung mit typischer großunternehmerischer Misswirtschaft, Korruption und Verschleierungstaktik. Da wird unterstellt, dass man dem Schicksal der 50 (IMHO durchaus) heldenhaft arbeitenden verbleibenden Arbeiter in Fukushima mehr Gewicht gibt als dem von zigtausend Ertrunkenen oder Verschütteten. Das ist kein fairer Vergleich, denn wenn diese 50 einfach die Brocken hingeworfen und die Beine in die Hand genommen hätten, dann wären die Folgen für die Überlebenden in Japan und den Rest der Welt sicherlich deutlich schlimmer gewesen als ohnehin schon – was man aufgrund der immer noch schlechten Informationslage noch gar nicht abschätzen kann. Und dabei ist die akute Gefahr noch lange nicht gebannt, gerade im Moment steigt mal wieder aus den beiden Reaktoren, die Stunden zuvor als “unter Kontrolle” gemeldet wurden, wieder eine Menge Rauch auf.

Es geht um sehr viel mehr als nur diese 50 Leute. Es geht auch um mehr als die paar tausend Soldaten und Zivilisten, die Russland in Tschernobyl vor 25 Jahren in den Tod geschickt hat, um das Schlimmste abzuwenden. Es geht um die Langzeitfolgen, und die lassen sich nur sehr schwer messen. Wie will man denn beweisen, ob die Kinder von Tschernobyl (Achtung: nichts für schwache Nerven) ohne den Unfall 1986 heute ein unbeschwertes Leben führen würden? Und wer von den Abwieglern und “Panikmache”-Rufern hat denn bitteschön die zündende Idee, was man mit dem ganz normalen hochradioaktiven Müll machen soll, der im Regelbetrieb tonnenweise anfällt? Wer ohne mulmiges Gefühl von einer Lagerung über zig tausend Jahre sprechen kann, dem fehlt der Bezug zur Realität. Schon hundert Jahre in die Zukunft zu schauen ist ein reines Würfelspiel, 10000 Jahre sind mit “vermessen” noch viel zu höflich umschrieben. Zur Erinnerung, vor 10000 Jahren war so etwas aktuell:

Nein, ich lasse mich nicht beirren. Ich werde weiterhin munter gegen die Atomlobby wettern, welche im Tandem mit korrupten Volksverrätern für die Politur von Quartalsergebnissen die Zukunft der Menschheit aufs Spiel setzt. Und zwar über einen Zeitraum, der größer ist, als man überhaupt auch nur halbwegs brauchbare Aufzeichnungen der Geschichte vorzeigen könnte. Und ja, ich lasse den Rest der Natur in dieser Argumentation mal außen vor – den kriegt die Menschheit auch mit anderen Mitteln recht effektiv platt.

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