Ich habe es gleich am Anfang gesagt, als Wulff sich noch an seinen Sessel geklammert hat: dann holen die bestimmt den Gauck. Ganz sicher war ich, als Merkel verkündet hat, sie wolle einen Kandidaten vorschlagen, den die Opposition nicht ablehnen würde. Ebenso sicher war ich auch, dass sie das Ganze in eine Show des Verhandelns, Abwägens und der zähen Kompromissfindung verpacken würden – ich hätte nur nicht gedacht, dass diese Show nur so kurz läuft.
Gauck ist weder für die CDU noch für die FDP in irgendeiner Weise unbequem. Er ist durch und durch auf der gewünschten Richtlinie. Manche gehen sogar so weit, ihn als reines Kunstprodukt zu bezeichnen, sogar mit guten Argumenten. Aber bewerten wir ihn mal so, als würde er nur seinen eigenen Standpunkt vertreten. Das lässt mich die Augenbrauen hochziehen, wenn er mal wieder als “Bürgerrechtler” angekündigt wird, als sei das eine Berufsbezeichnung – für die DDR-Zeit mag das ja zutreffen, aber heutzutage hätte er dann seinen Beruf verfehlt.
Hier mal einen Auszug seiner Standpunkte:
- Zu Protesten gegen die Machenschaften der Banken: Die derzeitige Finanzmarktdebatte halte er für “unsäglich albern“. Der Traum von einer Welt, in der man sich der Bindung von Märkten entledigen könne, sei eine romantische Vorstellung
- Er ist Mitglied im Senat der Deutschen Nationalstiftung. Diese verfolgt unter anderem folgende Ziele: Umbau der Sozialversicherung, Renovierung der öffentlichen Finanzwirtschaft, längeres Anhalten der Realeinkommen, eine umfassende Deregulierung auf allen Gebieten, Wettbewerb zwischen den Universitäten – also die komplette Agenda 2010, was Schröder und Co dann auch umgesetzt haben und was zum Kollaps 2008ff beigetragen hat
- Zum Wikileaks-Vorfall mit den Botschafts-Depeschen: Er weist darauf hin, dass es sich bei den Daten um gestohlenes Material handelt. “Das kann ich nicht akzeptieren, dass das gefeiert wird, das ist ein elementarer Verlust von Recht.”
- In der gleichen Diskussionsrunde zur Vorratsdatenspeicherung: “Sie müssen wissen, dass etwa die Speicherung von Telekommunikationsdaten nicht der Beginn eines Spitzelstaates ist.” – Da stimme ich ihm sogar zu, der Beginn war schon vorher.
- Sarrazin und dessen gesammelten selbsterfundenen Statistiken zur Förderung der Ausländerfeindlichkeit attestiert er Mut: “Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik”.
- Die Bundeswehr im Auslandseinsatz sei zwar “nicht gut, aber erträglich und gerechtfertigt”. Kritikern wirft er einen “Taktischen Pazifismus” vor.
- Für Proteste gegen Stuttgart 21 hat er keinerlei Verständnis, er nennt sie Fortschrittsskeptiker und warnt vor einer Protestkultur, “die aufflammt, wenn es um den eigenen Vorgarten geht”.
Gauck ist also ein Mann, der sich für die Bürgerrechte einsetzt und sich für einen Linken hält. Ja, ein Linker im Sinne des Seeheimer Kreises um Schröder – links blinken, rechts abbiegen. Und die Bürger haben das Recht, mit dem Jammern aufzuhören. Denn das ist das Privileg der Lobbyisten – um das klar zu stellen: das hat er nicht gesagt, aber er hat sich auch niemals kritisch gegenüber der Lobbykratie geäußert, nur mehrfach den Bürgern gegenüber, wenn sie sich zusammenraffen. Nicht, dass ich irgendwie erwartet hätte, dass aus dieser Vollversammlung heraus irgendein wirklich akzeptabler Bundespräsident hervorgebracht wird, aber bei Gauck schüttelt es mich dennoch.